Uve Kirsch

BÜCHER: GUTLAND

LESEPROBE

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"Ach du Scheiße", dachte Bromberger, der an seinem deutlich wahrnehmbaren Eigengeruch merkte, dass er stark schwitzte. "Ja, selbstverständlich werden wir Sie unterstützen, Herr Scheithauer, selbstverständlich. Wir sind eine offene Gemeinde und müssen natürlich helfen, wenn Not am Mann ist." Es war 14 Uhr und Bromberger telefonierte mit dem Sozialdezernenten des Landkreises, der ihn davon unterrichtete, dass Bahlenbrede in naher Zukunft seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommen müsse und eine größere Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen habe. Er griff nach einem Taschentuch und wischte sich den Schweiß ausgerechnet mit der Papierserviette von seiner Stirn, in der das Nackensteak gesteckt hatte, das vom vorabendlichen Grillen mit dem Sportvereinsvorsitzenden übrig geblieben war. Er roch jetzt nach Schweiß und Bratfett. "Wie soll ich das dem Gemeinderat erklären. Das gibt einen Aufstand!", dachte er. "Nein, ich rechne nicht mit Akzeptanzproblemen. Man muss es nur vernünftig kommunizieren, dann wird die Bürgerschaft auch vernünftig reagieren. Wie viele sollen wir aufnehmen?", fragte er und bei der Antwort blieb ihm die Sprache weg. "Achtzig Flüchtlinge? Wo sollen wir die unterbringen?"
 
"Auf einer öffentlichen Fläche? Aha. So, so. Mal sehen, was wir an geeigneten Flächen dafür finden."
 
Sie vereinbarten einen Termin zur Besprechung der weiteren Vorgehensweise und er legte hastig auf.
 
"So eine Scheiße!", dachte er, knüllte die Papierserviette zusammen und warf sie in Richtung des Papierkorbs auf der anderen Seite des Raumes. Die Kugel prallte von der Kante ab, rollte über das Parkett und blieb unterhalb der an einer Metallschiene mit Magneten befestigten Entwürfe für das neue Dorfwappen liegen.
 
Er setzte sich an seinen Computer und verfasste ein knappes Informationsschreiben, in dem er die Ergebnisse des Telefonats mit dem Landkreis protokollierte. Um vierzehn Uhr fünfunddreißig versendete er es an die Vorsitzenden der verschiedenen Parteien, den Kirchenvorstand, die Caritas und den Sportverein. Er speicherte die Sendungsprotokolle. Er bat seine Sekretärin zu sich und wies sie an, das Informationsschreiben als Grundlage für eine aktuelle Nachricht auf die Internetseite Bahlenbredes zu stellen. Sie wackelte murrend ab, da sie auf die Kaffeepause verzichten musste. Am selben Tag um kurz nach sechzehn Uhr war die Nachricht online.
 
Diesen Kelch würde er weiter reichen, die Angelegenheit fiel nicht in seine alleinige Verantwortung, das war Sache der ganzen Gemeinde.
 
Dann starrte er ausgiebig auf die Wand und malte sich den Sturm aus, der unweigerlich kommen würde. Es war nach sechzehn Uhr dreißig. Bald war Dienstschluss. Er loggte sich auf einer Internetseite für Grill- und Barbecuebedarf ein und scrollte emotionslos die Produktneuheiten durch. Er bestellte einen Servicewagen aus Edelstahl. Anschließend vertrödelte er die letzten Minuten seiner Arbeitszeit auf dem Ausstattungskonfigurator von Mercedes Benz und bastelte sich seine C-Klasse-Limousine zusammen. Er war sich nicht sicher, ob er den Gepäcklift im Kofferraum wirklich brauchte, aber das hatte noch Zeit. Er speicherte die Eingaben und ging pünktlich um 17 Uhr nach Hause. Drei Minuten später klingelte sein Telefon.
Gutland
ISBN: 978-3-7380-7800-8
Veröffentlichung: 19.07.2016
 
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Märkische Allgemeine Zeitung:
 
»... er hat durchaus einen eigenen feinen, ironischen, auch selbstironischen Stil. Es macht große Freude, der Handlung und den Gedankengängen seiner Romanfiguren zu folgen.
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Kirsch bildet die Debatte vielschichtig ab, wechselt die Perspektiven, hält aber immer gekonnt seinen luftigen Grundton bei.
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